Dass das ehemalige Mitglied von AMM und der Gründer des Scratch Orchestras, Cornelius Cardew, Vorträge hielt, dürfte ebensowenig bekannt sein wie die Tatsache, dass trotz des schmalen Outputs anscheinend reichlich Material im Archiv zu finden war, welches Piotr Kurek nun unter dem etwas irrigen Albumtitel »Lectures« neu abgemischt veröffentlicht. Zu diesem Zweck erhielt Kurek Zugang zum mittlerweile familiär verwalteten Archiv des während eines Unfalls mit Fahrerflucht verstorbenen Künstlers.
Die Aufnahmen sind brilliante kleine Beispiele für die moderne, aber zurückgezogene Cut-Up-Technik der Neuzeit. Statt dem Cardew-Material mittels moderner DSP zu Leibe zu rücken, spielt Kurek mit Jazzcolorit und Improvisationsliebe seine eigene Version des konzertanten Cardewuniversums. Dabei streift Kurek die stillen Wasser von Nobukazu Takemura ebensowie wie die elitären Frühversuche der Loungemuzak, deren einzige Berechtigung sich im unaufdringlichen Vibraphonmantel äußert. Zwischen den Stücken spielen sich als integrative Zwischenwerke die Lectures ab, Vorträge von Cardew über Jazzmusik und Kunst, narrativ vorgetragen und lediglich ab und an unterbrochen von der gelayerten Grundstimmung feingepitchter Saxophonspuren. Ein Album mit Geschichte, aber auch mit der Hoffnung auf mehr. 5/5
via AEMag