“Untitled #284” reviewed by Bad Alchemy

Untitled #284
Eines muss ich López hier lassen. Die ruhigen, leicht ominös rauschenden Passagen dieses Soundscapes eigen sich gut, um dabei Baudrillard zu lesen. Sein Essay über “Die Gewalt im Bild” etwa. López zitiert daraus selbst den Satz: So kann man sagen, dass hinter jedem Bild etwas verschwunden ist (das macht ja gerade die zweideutige Faszination des Bildes aus: dass etwas in ihm verschwunden ist). Die Bilderstürmer hatten das sehr wohl begriffen, sie prangerten die Ikonen als eine Art an, Gott verschwinden zu lassen (aber vielleicht hatte Gott selbst beschlossen, hinter den Bildern zu verschwinden?). Dass er die ‘Lektüre’ mehrmals ganz plötzlich dramatisiert mit brausenden Turbulenzen, hebt nur das Verstörende an Baudrillards Gedanken über das ‘Verschwinden des Realen’ hervor. Die Brisanz von Sätzen wie: Obszön ist alles, was überflüssigerweise sichtbar ist, ohne Notwendigkeit, ohne Wunsch und ohne Wirkung. Was den so knappen und so wertvollen Raum des Äußerlichen usurpiert… Heute jedenfalls verschwindet nicht mehr Gott, sondern wir: Wir verschwinden hinter unseren Bildern. Niemand stiehlt uns mehr unser Bild oder entreißt uns unser Geheimnis. Wir haben keins mehr. Was Baudrillard so spannend macht, ist letztlich sein konsequenter Remix von Nietzsches protopataphysischem Axiom: …denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt. Die Erkenntnis, dass das Imaginäre, der kostbare Raum des bloß Äußerlichen und Illusionären, etwas Magisches leistet, nämlich das Reale und das Schlimmste als nie ganz sicher erscheinen zu lassen. Wenn wir die Bilder als Bilder entzaubern, sie reduzieren zu Abbildern, machen wir sie (und uns) zu Komplizen des Realen, des Elends, der Gewalt. Statt der Lebensfeindlichkeit in Todfeindschaft zu widersagen, wird dafür in ‘aufgeklärt zynischer’ und ‘obszöner’ Verblendung geworben. Daher in seinem letzten Text “Warum ist nicht alles schon verschwunden?” noch einmal die Umwertung der Werte: Die ‘Agonie des Realen’ ganz unnihilistisch zu begreifen als Notwendigkeit und umgekehrt die Fiktion, den Bereich reinen Scheins, als das ‘Rettende’. López jedenfalls regte die Lektüre zu einer seiner allerbesten Arbeiten an. [BA 73 rbd] Rigobert Dittmann