Leere und Abwesenheit von musikalischer Struktur sind 2003 selten so radikal thematisiert worden wie in diesen 11 Stücken von Autodigest. Tiefer Hall wechselt zu hochfrequentem Sirren, in Phasen völliger Stille purzeln millisekundenlange Soundschnipsel, die in der Tat wie das klangliche Endprodukt gnadenloser digitaler Komprimierung erscheinen. Endgültig dominant wird dieser Eindruck ab den letzten Momenten von Track 4 (“Compression 43), die in ihrer quietschenden Hochgeschwindigkeitskakophonie an das Arbeitsgeräusch vorsintflut-licher Tape-Decks mit“High-Speed-Dubbing3-Funktion erinnern. Doch wo jene Decks rein funktional ein schnelleres, wenngleich mit grauenhaftem Qualitätsverlust verbundenes Kopie-ren von Musikkassetten ermöglichten, wenden sich Autodigests krasse Soundexplorationen wesentlich anspruchsvolleren kulturellen und philosophischen Problemfeldern zu: Die in der weitgehenden Verweigerung stilistischer Referenz begründete Selbstbezüglichkeit ihrer Äs-thetik lässt, so ihr Anspruch, Raum und Zeitkategorien zu einem eher punktuellen Zustand abstrakter Erfahrbarkeit, einer Art reinen musikalischen Da-Seins implodieren. In dieser mo-menthaften, präsentischen Rezeptionsweise verblassen kulturelle Antagonismen derart, dass – hier wird das Theoriegebäude des französischen Soziologen und Medienwissenschaftlers Jean Baudrillard bemüht – eine Befreiung aus den Fängen des Hyperrealen möglich wird, eine Emanzipation von der sonst unentrinnlichen Gewalt gesellschaftlicher Simulakra. Hier liegt das einzige Problem dieses Albums: Autodigests Musik ist viel reichhaltiger und vielschichti-ger als die quasipolitischen Platitüden, mit denen sie überfrachtet wird. Ein Werk, dessen Be-deutung, dessen “message3 ihm derart von außen aufgedrückt werden muss, scheint mir in seiner ästhetischen Autonomie beschädigt. Es darf nicht für sich selbst sprechen, es besitzt sein subversives Potenzial nur noch als behauptetes. Es befreit nicht von Ideologie, es ist, so hätte Adorno gesagt, selbst Teil von Ideologie.
So ganz wollen aber auch Autodigest selbst nicht auf metaphorische Referenzen verzichten und bezeichnen “A Compressed History of Everything Ever Recorded3 als “audio equivalent of a Black Hole3: als ein undefinierbares, amorphes und damit verstörendes Artefakt, das sämtliche musikalischen Strömungen und Entwicklungen aufsaugt und in seinem Inneren transformiert. Dass Laute und Klänge ein Schwarzes Loch verlassen, also seinen Ereignisho-rizont, die Grenze seines Gravitationsfeldes, nach außen durchstoßen, stellt die uns bekannten Naturgesetze auf den Kopf. Ein wahrhaft revolutionäres Ereignis, auf dessen baldige Wieder-holung sich im Fall Autodigest sicherlich zu warten lohnt.
Oliver Keutzer