Seit 2009 initiiert und kuratiert Simon Whetham im estnischen Mooste das MoKS, eine Art Künstlerresidenz mit Studio-Anbindung, zum Zwecke der Förderung aktiver Klangforschung sowie der entsprechenden Auseinandersetzung mit Aspekten von Aufnahme, Erzeugung, Komposition und Aufführung: Active Crossover. Inzwischen hat diese Idee bereits Ausläufer nach Südamerika und Australien entwickelt. Nach der 2012 erschienenen Compilation Crossovers veröffentlicht das Label Crónica in diesem Jahr eine ganze Reihe mit Forschungsergebnissen aus der Keimzelle des MoKS: Corollaries. Den Anfang macht Yiorgis Sakellariou.
Der überwiegend in London tätige und aus Athen stammende Klangforscher legt sich bei seiner halbstündigen Komposition Everything Emanating From The Sun mit Igor Strawinski an. Genauer gesagt: mit einer Aussage des großen Erneuerers. Strawinski spricht den natürlichen Klängen den Rang der Musik ab, da sie den menschlich bewussten Akt der Organisation entbehren. Yiorgis Sakellariou stellt sich die Frage nach den Vollzugsweisen dieser von Strawinski eingeforderten Organisationsformen, indem er sich eines gedoppelten Schaffensprozess aussetzt.
Nachdem er sich während seines Aufenthalts in Mooste – bis hin zu den Mikro-Strukturen – intensiv mit der Konsistenz seiner Aufnahmen auseinandersetzte, konnte er – zurück in London und dort im Zuge der Nachbearbeitung – feststellen, dass sich die eigene Wahrnehmung des eigenen Werks substanziell verändert hatte. Diese Erfahrung entkräftet nicht zuletzt das Diktum Strawinskis. Denn was Musik konstituiert, so Yiorgis Sakellariou, ist der Akt des Vernehmens und Zuhörens. Die Interdependenz des Settings entscheidet dabei mit über die Fähigkeit, Musik als solche anzuerkennen und sie somit auch als kommunikativ kommensurabel zu verstehen.
Jede Erwägung, das Ausgangsmaterial aus Mooste erneut zu manipulieren, konfrontierte den Komponisten nicht zuletzt mit elementaren Fragen nach der schöpferischen Motivation, die sozusagen (wenn auch unter analytischen Voraussetzungen) „eingefangene“ Musik von ihren Ursprüngen zu entfernen, um sie dadurch endlich „musikalisch“ oder zumindest „musikalischer“ zu gestalten.
Im Zweifel plädiert Yiorgis Sakellariou für die offene Erfahrbarkeit seiner Komposition und gegen eine Statik, die Komponieren und Arrangieren vorgeblich forcieren. Unbeabsichtigt hat er mit Everything Emanating From The Sun seiner Zeit zu Mooste einen persönlichen Ausdruck verliehen, der sich nicht allein anhand der originären Field Recordings erschließt.
Wer Everything Emanating From The Sun hört, wird seinerseits feststellen, wie diese Musik (durchaus wieder im Sinne Strawinskis) unabhängig von vorab (künstlerisch) kontextualisierter Performation sogar Narrative anbietet, ohne dabei einer schöpferischen Symptomatik zu erliegen. Dennoch sollte kreatives Hören keineswegs als Degradierung des vorab Aufzeichnenden oder als Dekomposition des zuvor Strukturierten verstanden werden. Stephan Wolf
via Amusio