“Bittersweet Melodies” reviewed by Amusio

cronica109-2016_520
Der Israeli Ran Slavin ist in erster Instanz Multimedia-Künstler. Und weiterhin Musiker. Im weitesten Sinne. Sein Schaffen ist von arglistiger Täuschung sowie didaktischer Raffinesse gekennzeichnet. Die für ihn charakteristische Trennung von realen und irrealen Räumlichkeiten sowie das prozessuale Verfassen von sichtbar unsichtbar gemachten Zuständen schlägt sich auch auf seinem bereits elften Studioalbum nieder. Bittersweet Memories (Crónica) stellt zwar unentwegt Bezüge her, lässt diese jedoch derart resolut kollabieren, dass sich aus der Vielzahl der Optionen eine Lesart aufdrängt: die bittersüßen Erinnerungen sind die Vorboten einer in sich (und zurecht) verbitterten Weltwahrnehmung.

Die Titel sind bezugsreich gewählt: Category: Murdered Entertainers, Fake Sunsets, Dubai Dawn, Sinatra Was Here, Deserted New Buildings. Oder eben, selbstreferentiell: Collapsing Melody. Dennoch vermeidet Ran Slavin konsequent griffige Entsprechungen. Zumal das Album insgesamt eine Wirkung auslöst, die das Gewesene eines jeden Szenarios in die Nivellierung überführt.

Einzig der mit einer stoischen Verabschiedung von verbrämter Nostalgie schwingende Ausklang (Discreet Features) erlaubt einen Hinweis aufs Konkrete. Und selbst dieser wird allgemein (und umso verbindlicher) gehalten: Im Vernehmen der Zeit als Konstante der Vergänglichkeit wähnt sich die inflationär getaktete Imagination gegenüber dem Wert von Realitäten als haushoch überlegen. Auch wenn es sich bei diesem Haus nur um ein weiteres „deserted new building“ handelt.

Die seltsam vor sich hin plätschernde Gebrauchselectronica von Bittersweet Memories, die eine gewisse (und gegebene) Nähe zur Haus-Ästhetik von Mille Plateaux offenbart, entzieht sich der Verantwortung. Ihre Gegenständlichkeit transportiert weder Druck noch Appell. Und doch gelingt es, so denn überhaupt etwas gelingen sollte, einen soliden Schiedsspruch zu sedimentieren: Tempus fugit. Wer heute resigniert, kann morgen schon frei sein. Beunruhigend und verheißungsvoll zugleich, oder? Stephan Wolf

via Amusio