Musik, die mir nicht als Lebensmittel taugt, als Stimulans von Freude, als Aha- effekt, als Pharmakon gegen sinnliche Verhornung oder soziale Verfettung, die ist mir weitgehend gleichgültig. Und wenn sie mir dumm kommt, dann stört sie mich. Diese Gefahr besteht bei Living-Room-Electronica selten. [Von Tanzmusik reden wir hier grundsätzlich nicht, nicht aus Snobismus, sondern weil sie per definitionem nicht bequatscht, sondern getanzt werden will.] Ob mangels Ehrgeiz ihrerseits oder mangels Sensibilität meinerseits, sei dahin gestellt. Was soll mich auch daran stören, wenn mir jemand die Schädelinnenseite mal neu mustert oder meine Wohnzimmerwände mal wieder anders tapeziert?
Ersteres fällt bei mir in die Kategorie ‚aisthetisch‘, ‚psychedelisch‘ oder einfach ‚dekorativ‘, letzteres – mit gleitenden Ãœbergängen und Vexiereffekten – unter ‚ambient‘, ‚illbient‘ oder ‚sombient‘. Ersteres suggeriert: Sein ist Design und eine Frage der Brille, Letzteres: Du bist nicht allein und Dein Leben ist mal mies mal heiter usw. Der lithauische Sinuswellenreiter und Konzeptkünstler GINTAS Krapatvicius ist, wie wahrscheinlich 80 % aller Elektroniker, Minimalist, ein Designer von repetitiv rotierenden Pulsmustern, von mehrspurigen Stakkati, die an den Säumen noisig ausfransen. Sein Sortiment bei Lengvai / 60 x One Minute Audio Colors of 2kHz Sound (Crónica 024, 2 x CD) reicht von spaceig abgeflachten Dröhnwellen zu harschen Electronic-Body-Stomps, von furzelnden Granulationen zu munter gesteppten Tausendfüßler-Plops, beschleunigtem Leerlauf oder monoton loopenden Pfeiftönen. Im mit 27 Minuten epischen ‚Early Set‘ fließen all diese Stilmerkmale noch einmal organisch ineinander und gipfeln in einem pathetischen Vocalsample. Das exakt 1-stündige Spektrum von 2kHz-Tönen zeigt anschließend den Konzeptkünstler Gintas K, der mit 60 je 60-sekundigen stechenden oder alarmierend pulsierenden Haltetönen die vibrierende Farbpalette der genannten Frequenz ins Hirn injeziert. Und da nehm ich dann doch mein ‚Stört mich selten‘ kleinlaut zurück.